Frozen Angels und Designer Babies
Lori Andrews über die Zukunft der menschlichen Fortpflanzung
Soll es Eltern erlaubt werden, Kinder aus speziell ausgewählten
Ei- und Samenzellen zu erzeugen? Soll es ihnen gestattet werden, ihren
Nachkommen Gene für Eigenschaften mitzugeben, die noch kein Mensch
je gehabt hat, wie die Schnelligkeit eines Geparden oder die Nachtsichtigkeit
einer Katze? Und falls sich die Designer-Babies nicht so entwickeln wie
geplant, sollten dann Umtauschgesetze für Kinder eine Geld-Zurück-Garantie
beinhalten?
Amerikaner haben mehr und mehr eine Einkaufslisten-Mentalität, wenn
es um das Thema Fortpflanzung geht. Ein Kind zu bekommen, beginnt dem
Kauf eines Neuwagens ähnlich zu werden, mit einer umfangreichen Liste
möglicher Ausstattungsmerkmale und Sonderwünsche. Jedes Jahr
werden 60.000 Geburten durch eine Samenspende möglich gemacht, bei
der viele Menschen ihre zukünftigen Babies nach Haarfarbe, Hobbies,
Notendurchschnitt, Größe (bei Männern) und Gewicht (bei
Frauen) der Spender aussuchen.
Eine Anzeige in einer Zeitung der Stanford-Universität bot 100.000
$ für eine Eispenderin mit „nachgewiesener athletischer Begabung
auf College-Niveau“. Menschen, die nicht genug Klatschgeschichten
aus Königshäusern bekommen können, haben nun die Möglichkeit,
für 4.000 $ das Sperma eines Mannes zu erwerben, der seine Stammeslinie
zu mehreren Herrschaftsfamilien zurückverfolgen kann. Er wirbt auf
einer „königlichen und biblischen Gen“-Webseite, die Ärzte
für Überweisungen mit 500 $ belohnt.
Elternwünsche
Manche Eltern treiben weibliche Föten ab, weil sie einen Jungen
wollen. Eine Studie belegt, dass 12% aller Eltern einen Fötus abtreiben
würden, der eine genetische Disposition zur Fettleibigkeit hat. In
Kalifornien deutete ein Gericht an, dass ein behindertes Kind seine Eltern
verklagen könnte, weil es nicht abgetrieben wurde. Stellen Sie sich
die Klagen vor! Eine Tochter könnte ihre Angehörigen verklagen,
weil sie sie nicht durch die Bezahlung einer „besseren“ Eispenderin
hübscher oder durch genetische Eingriffe klüger gemacht haben.
Mit der fortschreitenden Entwicklung werden zukünftige Eltern eine
immer umfassendere Kontrolle über die Eigenschaften ihres Nachwuchses
haben. Wissenschaftler haben bereits menschliche Krebs-Gene in Mäuse
und Leuchtkäfer-Gene in Tabakpflanzen übertragen, die dann im
Dunkeln leuchten. Was wird passieren, wenn wir damit anfangen, menschliche
Embryonen genetisch zu steuern? In einer von Louis Harris durchgeführten
und von March of
Dimes unterstützten Umfrage gaben 43% der Befragten
an, dass sie die Veränderung menschlicher Zellen zur Verbesserung
körperlicher
Eigenschaften bei Babies befürworten. 42% tun dies, um die Kinder
in ihren kognitiven und geistigen Fähigkeiten aufzuwerten. Nach einer
anderen Umfrage würde ein Drittel der Befragten die sexuelle Orientierung
ihres Kindes genetisch kontrollieren wollen. Mit jährlich ungefähr
vier Millionen Geburten in den USA wäre das ein Markt für genetische
Aufwertung, der an die Größe von Prozac oder Viagra heranreicht.
Konsequenzen der Keimbahn-Intervention
Mit der Keimbahnintervention, also dem Versuch, den genetischen Aufbau
menschlicher Embryonen zu beeinflussen, ergeben sich viele ethische Fragen.
Stellen Sie sich eine Situation vor, bei der Eltern die Möglichkeit
haben, das Gedächtnis oder die Intelligenz eines Kindes durch die
Aus- oder Abwahl eines spezifischen Genes zu verbessern. Da Eltern ohnehin
für die Entwicklung ihres Kindes die Verantwortung tragen, stellt
sich die Frage, ob die genetische Veränderung eine Grenzüberschreitung
bedeutet, die die Autonomie des Kindes verletzt. Das daraus resultierende
Kind hätte bei dem Verfahren kein Mitspracherecht und wäre mit
einer genetischen Aufwertung eventuell nicht einverstanden.
Wer ist haftbar?
Falls die Keimbahnintervention eine allgemein angewandte Technik würde,
könnten Eltern dann der Vernachlässigung angeklagt werden, weil
sie sich nicht daran beteiligen? Falls der genetische Eingriff negative
Folgen hätte, wären die Eltern dann wegen der Gefährdung
ihres Kindes haftbar? Würden der Forscher oder der Arzt, der den
misslungenen Eingriff vorgenommen hat, vom Kind wegen einer fehlerhaften
Lebens-Theorie verklagt?
Eine der schwerwiegendsten ethischen Aspekte der potentiellen
Anwendungsgebiete der Keimbahn-intervention zur Verbesserung normaler
menschlicher Funktionen besteht darin, dass ihre Verfügbarkeit die
Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen wird. Als Folge der Keimbahntherapie
würden
Reiche ihren Kindern nicht nur soziale Vorteile verschaffen, sondern auch
mögliche genetische Vorteile. Besonders in Entwicklungsländern
würden Keimbahninterventionstechnologien eine sich ständig vergrößernde
Kluft zwischen einer privilegierten Minderheit und der armen Mehrheit
schaffen. Der Zellbiologe der Universität Princeton Lee Silver glaubt,
dass sich im Lauf der Zeit die globale Gesellschaft aufteilen wird in
GenRich, die sich solche Eingriffe leisten können und die die Wirtschaft,
Medien und Wissens-Industrie kontrollieren werden, und in Naturals – Menschen
aus der Unter- und Mittelschicht, die „zu niedrigen Löhnen
als Dienstleister und Arbeiter“ beschäftigt sein werden.
Einzelfunktionen und Interaktion der Gene
Manche Menschen meinen, dass die Keimbahnintervention zu vergleichen
sei mit der bereits lange akzeptierten Methode der selektiven Züchtung
von Tieren, die durch die Auswahl bestimmter Eigenschaften und ihrer entsprechenden
Kreuzung die Effizienz der Reproduktion maximiert, um Nachkommen mit den
gewünschten Merkmalen zu erzeugen. Dieser Vergleich ist jedoch insofern
unzutreffend, als bei der Züchtung immer die Auswahl eines kompletten
Tieres (d.h. die Auswahl der Gesamtheit seiner Gene) zum Zwecke der Fortpflanzung
herangezogen wird. Die Keimbahnintervention richtet sich dagegen direkt
an bestimmte Gene mit dem Ziel, diese isoliert zu verbessern. Weil dabei
nicht das gesamte Genmaterial berücksichtigt wird, besteht die Gefahr,
die normale Funktion und Interaktion der anderen Gene zu beeinträchtigen.
Eine Studie zeigte auf, dass bei Kälbern, die mit einem die Muskelmasse
vergrößernden Gen ausge-stattet wurden, nur eines der Kälber
(0,2% der ursprünglich eingepflanzten Embryos) lebendig zur Welt
kam. Das Kalb zeigte zunächst einen Anstieg der Muskelmasse, litt
jedoch schnell unter fortschreitendem Muskelschwund und musste getötet
werden, weil es nicht mehr stehen konnte.
Die bisherigen Versuche in der Keimbahnintervention bei Tieren führten
zu einer Reihe von Problemen – ein Indiz dafür, dass die Anwendung
dieser Technologie beim Menschen mit erheblichen Risiken verbunden ist.
Forscher hatten bisher große Schwierigkeiten, Gene in Embryos zu
verpflanzen, die die gewünschten – und nur die gewünschten – Ergebnisse
liefern. Wegen der Schwierigkeit, Gene an ihre korrekte Stelle zu platzieren,
ohne andere Zellfunktionen zu stören, treten viele Abnormalitäten
auf, weil schädliche Gene aktiviert oder nützliche Gene inaktiviert
werden. Ebenso beeinflussen viele Gene nicht nur eine Eigenschaft, sondern
meist eine ganze Reihe.
Selbst ein korrekt eingefügtes Gen zur Verbesserung
einer bestimmten Eigenschaft kann also vielfältige Effekte haben,
sowohl positive als auch negative. Es ist außerdem zu berücksichtigen,
dass gerade die Eigenschaften, die Eltern voraussichtlich am stärksten
beeinflussen möchten, wie Intelligenz oder Gedächtnis, aller
Wahrscheinlichkeit nach vom Zusammenspiel mehrer Gene kontrolliert werden,
was ein korrektes Einfügen eines einzelnen Gens erschwert. Solche
Eigenschaften sind außerdem zu einem bedeutenden Teil nicht-genetischen
Einflüssen wie der Umwelt unterworfen, die die Ausprägung dieser
Gene auf unbekannte Art be-einflussen. Veränderungen der Keimbahn
können zudem ungewollte oder unvorhergesehene Effekte haben, die
sich erst zeigen, wenn das Kind ausgewachsen ist oder bereits eine weitere
Generation gezeugt hat.
Anwendung bei Menschen
Sollte die Keimbahnmanipulation beim Menschen ausprobiert werden, werden
Fehler unvermeidlich sein. Im Tierversuch haben bisher die meisten Tiere
mit angewendeter Keimbahnintervention Komplikationen gezeigt, die ihre
Tötung nötig machen oder sie weiteren Versuchen aussetzen, durch
die Probleme für zukünftige Studien korrigiert werden sollen.
Langzeiterfahrungen
W. French Anderson, ein Pionier der menschlichen Gentherapie der frühen
90er Jahre, hat angemerkt, dass wegen den zum großen Teil unbekannten
schädlichen Effekten der Keimbahnmanipulation zunächst Langzeiterfahrungen
mit Hunderten gentherapierter Erwachsener nötig seien, deren Daten über
mindestens zehn Jahre gesammelt und ausgewertet werden müssen. Zuverlässige,
wiederholbare und sichere Methoden müssten zudem zunächst an
Primaten ausprobiert werden. Ein umfangreiches Verständnis der Risiken
und Kosten im Zusammenhang der Keimbahnintervention sowie die gesellschaftliche
Aufmerksamkeit und Zustimmung müssten ebenfalls hergestellt werden,
bevor mit der Keimbahnintervention beim Menschen angefangen werden könne.
Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Effektivität und Sicherheit
der Keimbahnintervention bei Tierversuchen sowie der Vielzahl ethischer
Bedenken gegenüber einer permanenten Veränderung des menschlichen
Genoms, wäre es für die menschliche Gemeinschaft unverantwortlich,
zu diesem Zeitpunkt die Keimbahnintervention weiter voranzutreiben.
(Lori Andrews, Professorin für Rechtswissenschaften, Chicago-Kent
College of Law und Chairman of the Board des Institute on Biotechnology
and the Human Future, www.thehumanfuture.org)
|